Die aktuelle Krise wird vielerorts zum Drehmoment für unsere Vorstellung von Arbeit, einem nachhaltigen und ethisch verantwortbaren Wirtschaften und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt erklärt. Nicht zuletzt gilt sie als wertvolle Erinnerung an das, was im Trubel des Arbeitsalltages vermeintlich übergangen wird, und als Chance zur Neuausrichtung der eigenen Lebensführung – folgt man der Logik dieser Aufmunterungsbemühungen, so suchen wir in der Auseinandersetzung mit der Krise vor allem nach Antworten auf die drängende Frage, wie die Blickwende auf das Gute im Schlechten gelingen kann und wie Menschen es schaffen, trotz erheblicher Einschränkungen und wirtschaftlichen Schieflagen zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, sprich wie ein resilienter (lat. resilire = zurückspringen, abprallen) Umgang mit den krisenbegleitenden Belastungen möglich ist.
So nahmen Berater, Trainer und Coaches die Pandemie zum Anlass, einschlägige Kenntnisse aus der Resilienzforschung aufzuwärmen und der breiten Masse wohlwollend zur Verfügung zu stellen – stets verbunden mit dem Slogan, Resilienz sei eine erlern- und vor allem trainierbare Fähigkeit des Einzelnen, aus Krisen zu wachsen. Doch wie tragfähig können diese personenzentrierten Ansätze sein, wenn sie keinen Bezug zu gesellschaftlichen Schieflagen nehmen? Sollten wir nicht die Missstände anerkennen, die es dem Einzelnen erschweren, die eigenen Ressourcen und Widerstandskräfte gegenüber äußeren Belastungen zu entdecken? Und ist es – gerade mit dem Blick auf geteilte Lebensrealtitäten und kollektive Schieflagen – nicht wertvoller, krisenhafte Irritationsmomente und Verlusterfahrungen gemeinschaftlich zu tragen statt zu übergehen (vgl. Redemman, 2020)?
Im Resilienzdiskurs im Kontext der Pandemie bestätigt sich der Eindruck, dass Resilienz oft fälschlicherweise als schnelles Fertigwerden missverstanden und als individueller Zugang gedeutet wird, um Zweifel, Ängste und Existenznöte zügig bewältigen, bekämpfen oder unterbinden zu können. Reddemann (2020) wirft hier kritisch ein, dass das Konzept Machbarkeit suggeriere, dort wo nichts mehr gehe: „Wiederstehen und widerstehen verweisen auf Aspekte von Resilienz, also Widerstandskraft; und auch auf „sich aufrichten“, wieder stehen können, nachdem man gestürzt ist. Aber vielleicht auch, zumindest indirekt einfach mal nach einem Sturz liegen bleiben zu dürfen […]. Sich Zeit zu lassen […] und sich später zu erfreuen, wenn Erholung vielleicht beinahe wie von selbst eintritt. Auch sich helfen zu lassen aufzustehen, nicht alles alleine bewältigen zu wollen. Und sich der Hilfe sicher sein können.“ (S. 26). Ist Resilienz nach diesem Verständnis nicht vielmehr der Versuch, mit sich empathisch zu bleiben, wenn es uns eben nicht gelingt, mit Belastungen aus eigener Kraft fertig zu werden? Müssen wir überhaupt mit allem „fertig“ werden?
Vielleicht kommen genau an dieser Stelle die einseitig ressourcenorientierten und manualisierten Trainings an ihre Grenzen, beachtet man dass für einen Umgang mit krisenhaften Ereignissen viele Ressourcen nötig sind und es zeitaufwändig ist, sich diese zu erschließen (vgl. Bonnano, zit. nach Reddemann). Statt diese Zeit-Räume zu gewährleisten, in denen Trauer, Ängste und Wut gemeinschaftlich ausgehalten und getragen werden, zielen einige Unterstützungsprogramme auf eine kurzfristige Energetisierung durch Einzelinterventionen, die auf die Überwindung der Ist-Soll-Diskrepanzen auf der Ebene persönlicher Resilienzfähigkeiten abzielen. Vielleicht sollten wir stattdessen die Fähigkeit fördern, über kritische Themen würdevoll ins Gespräch zu gehen? Und wäre das nicht Ausdruck von Resilienz…. ?
Referenzen
Reddemann, L. (2020). Resilienz – Chancen und Risiken eines Konzeptes. Systeme, 1/34, 19-40.
Bonanno GA (2012). Die andere Seite der Trauer: Verlustschmerz und Trauma aus eigener Kraft überwinden. Edition Sirius im Aishesis-Verlag, Bielefeld.