Wirtschaft und Ethik – wie geht das zusammen?
Ethik und Wirtschaft : Wie geht das zusammen? Zu dieser Frage habe ich mich mit David Eicher (Gründer der TERRITORY webguerillas) unterhalten.
Das Interview schließt an die Leitfragen des Symposions “Vorwärts und Vergessen – systemische OE im Spannungsfeld von Exzellenz und Ethik” an, die das Zentrum für systemische Forschung und Beratung gemeinsam mit der Systemischen Gesellschaft (SG) am 01.-02. Oktober 2021 in Heidelberg veranstaltet (wissenschaftliche Leitung: Dr. Hans Rudi Fischer & Prof. Michael Göhlich).
Der Resilienz widerstehen – lehrt uns die Krise, das Konzept auf den Kopf zu stellen?
Die aktuelle Krise wird vielerorts zum Drehmoment für unsere Vorstellung von Arbeit, einem nachhaltigen und ethisch verantwortbaren Wirtschaften und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt erklärt. Nicht zuletzt gilt sie als wertvolle Erinnerung an das, was im Trubel des Arbeitsalltages vermeintlich übergangen wird, und als Chance zur Neuausrichtung der eigenen Lebensführung – folgt man der Logik dieser Aufmunterungsbemühungen, so suchen wir in der Auseinandersetzung mit der Krise vor allem nach Antworten auf die drängende Frage, wie die Blickwende auf das Gute im Schlechten gelingen kann und wie Menschen es schaffen, trotz erheblicher Einschränkungen und wirtschaftlichen Schieflagen zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, sprich wie ein resilienter (lat. resilire = zurückspringen, abprallen) Umgang mit den krisenbegleitenden Belastungen möglich ist.
So nahmen Berater, Trainer und Coaches die Pandemie zum Anlass, einschlägige Kenntnisse aus der Resilienzforschung aufzuwärmen und der breiten Masse wohlwollend zur Verfügung zu stellen – stets verbunden mit dem Slogan, Resilienz sei eine erlern- und vor allem trainierbare Fähigkeit des Einzelnen, aus Krisen zu wachsen. Doch wie tragfähig können diese personenzentrierten Ansätze sein, wenn sie keinen Bezug zu gesellschaftlichen Schieflagen nehmen? Sollten wir nicht die Missstände anerkennen, die es dem Einzelnen erschweren, die eigenen Ressourcen und Widerstandskräfte gegenüber äußeren Belastungen zu entdecken? Und ist es – gerade mit dem Blick auf geteilte Lebensrealtitäten und kollektive Schieflagen – nicht wertvoller, krisenhafte Irritationsmomente und Verlusterfahrungen gemeinschaftlich zu tragen statt zu übergehen (vgl. Redemman, 2020)?
Im Resilienzdiskurs im Kontext der Pandemie bestätigt sich der Eindruck, dass Resilienz oft fälschlicherweise als schnelles Fertigwerden missverstanden und als individueller Zugang gedeutet wird, um Zweifel, Ängste und Existenznöte zügig bewältigen, bekämpfen oder unterbinden zu können. Reddemann (2020) wirft hier kritisch ein, dass das Konzept Machbarkeit suggeriere, dort wo nichts mehr gehe: “Wiederstehen und widerstehen verweisen auf Aspekte von Resilienz, also Widerstandskraft; und auch auf “sich aufrichten”, wieder stehen können, nachdem man gestürzt ist. Aber vielleicht auch, zumindest indirekt einfach mal nach einem Sturz liegen bleiben zu dürfen […]. Sich Zeit zu lassen […] und sich später zu erfreuen, wenn Erholung vielleicht beinahe wie von selbst eintritt. Auch sich helfen zu lassen aufzustehen, nicht alles alleine bewältigen zu wollen. Und sich der Hilfe sicher sein können.” (S. 26). Ist Resilienz nach diesem Verständnis nicht vielmehr der Versuch, mit sich empathisch zu bleiben, wenn es uns eben nicht gelingt, mit Belastungen aus eigener Kraft fertig zu werden? Müssen wir überhaupt mit allem “fertig” werden?
Vielleicht kommen genau an dieser Stelle die einseitig ressourcenorientierten und manualisierten Trainings an ihre Grenzen, beachtet man dass für einen Umgang mit krisenhaften Ereignissen viele Ressourcen nötig sind und es zeitaufwändig ist, sich diese zu erschließen (vgl. Bonnano, zit. nach Reddemann). Statt diese Zeit-Räume zu gewährleisten, in denen Trauer, Ängste und Wut gemeinschaftlich ausgehalten und getragen werden, zielen einige Unterstützungsprogramme auf eine kurzfristige Energetisierung durch Einzelinterventionen, die auf die Überwindung der Ist-Soll-Diskrepanzen auf der Ebene persönlicher Resilienzfähigkeiten abzielen. Vielleicht sollten wir stattdessen die Fähigkeit fördern, über kritische Themen würdevoll ins Gespräch zu gehen? Und wäre das nicht Ausdruck von Resilienz…. ?
Referenzen
Reddemann, L. (2020). Resilienz – Chancen und Risiken eines Konzeptes. Systeme, 1/34, 19-40.
Bonanno GA (2012). Die andere Seite der Trauer: Verlustschmerz und Trauma aus eigener Kraft überwinden. Edition Sirius im Aishesis-Verlag, Bielefeld.
Selbstbestimmt im Homeoffice?
Aufgrund der Pandemie arbeiten derzeit viele Beschäftige in flexibiliserten Arbeitsmodellen und im Homeoffice – in welchem Ausmaß tragen die neuen Arbeitsformen dazu bei, Arbeit humaner, i.S. von selbstbestimmter zu gestalten? Und würde der Diskurs rund um diese Frage davon profitieren, wenn das Wort Selbstbestimmung mit Bedeutung gefüllt und aus dem Arsenal von Selbstverständlichkeiten einer liberalistierten Arbeitswelt hervor gehoben werden würde? Und welche Bedeutung könnte neue Orientierung zu dieser Frage anbieten?
Obwohl Autonomie (griech. Αύτουόμοϛ, αύτουοµϊα; lat. autonomia, Selbstbestimmung, Selbstgesetzgebung, Eigengesetzlichkeit) ein wesentlicher Schlüsselbegriff innerhalb humanistisch orientierter arbeits- und organisationspsychologischer Theorien ist und den normativen Hintergrund einiger Theorien zur Gestaltung menschengerechter Arbeit bildet, besteht insbesondere hier eine „terminologische Vagheit“ (Sichler, 2006, S.89): So wird Autonomie sowohl mit Beteiligungsrechten, als auch mit erweiterten Handlungs- und Interaktionsspielräumen gleichgesetzt. Andere bemessen Automie daran, ob die Mitarbeiter ihre Arbeitsziele selbst festlegen und sich dafür verantwortlich fühlen, dass diese erreicht werden…
Flexible Arbeitszeiten, die Betonung der Eigenverantwortlichkeit und erweiterte Entscheidungsspielräume gestehen Mitarbeitern die Kompetenz zu, aus der Vielfalt möglicher Handlungen eigenständig zu wählen, diese selbst zu koordinieren und so in den zuvor fremdbestimmten Verlauf der Arbeitsausführung eingreifen zu können… Doch wie lässt sich nach diesem Verständnis Selbstbestimmung von Selbstkontrolle und Selbststeuerung abgrenzen? Steht mit der vernachlässigten Begriffsdifferenzierung nicht auch die Tragweite der darauf aufbauenden Konzepte in Frage? Und woran bemessen wir dann, ob und in welcher Weise die Theoriegebilde den veränderten Arbeitsverhältnissen über die Zeit gerecht werden können? Vor dem Hintergrund der vielfältigen Definitionen im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie soll also hier dem Wort nochmals auf den Zahn gefühlt werden …
Kambartel (1989) begreift Selbstbestimmung auf drei Ebenen und benennt dabei die Freiheit von der Natur, die Freiheit von Herrschaft sowie Freiheit von sich selbst als notwendige Bedingung von Autonomie.
Als Freiheit von der Natur versteht er die Möglichkeit des Einzelnen dem zufallsbedingten Geschehen der Welt selbst seinen Lauf vorzuschreiben. Freiheit von Herrschaft meint hingegen, Ziele weitgehend unbeeinflusst durch das Handeln anderer zu verfolgen. Drittens – und dies findet innerhalb der Arbeits- und Organisationspsychologie bislang weniger Beachtung – gilt eine Person nach Kambartel als selbstbestimmt, wenn sie frei von sich selbst ist. In Anlehnung an Kant meint dies die Freiheit, einen Standpunkt gegenüber eigenen Wünschen und Motiven auszubilden. Diese höchste Stufe des hier formulierten Autonomieverständnisses verweist auf selbstreflexive Prozesse und die Möglichkeit, „sich nicht nur gegenüber der äußeren Natur und gegenüber anderen Personen, sondern auch zu sich selbst verhalten zu können.“ (Sichler, 2006, S. 12).
Sollte die Frage nach Autonomie im Kontext neuer Arbeit also nicht vielmehr darauf gerichtet werden, inwiefern sich Mitarbeiter in der Auseinandersetzung mit ihrer Tätigkeit auch mit sich selbst und der Entwicklung der eigenen berufsbezogenen Identität auseinandersetzten können?
Auch wenn diese Reflexionsschleifen im Rahmen von Mitarbeitergesprächen, Workshops und Coaching, u.a. ermöglicht und begleitet werden können, bleiben doch Fragen offen, inwiefern Selbstbestimmung im Kontext flexibilisierter Arbeit möglich ist…
So stellt sich die Frage, ob umgekrempelte Organigramme, eingerissene Bürowände und agile Projektarbeiten notwendig oder gar hinreichend sind, um das Arbeitshandeln eines Teams oder eines Mitarbeiters als frei von Herrschaft zu bezeichnen. Sofern die Anordnungen hierarchisch übergeordneter Führungskräfte durch die Autorität der Zahlen ersetzt werden, müsste man wohl schließen, dass hier Herrschaft eher verschoben, statt aufgelöst wird.
Und geht die Abkehr des hierarchisch geprägten “Kommandosystems” nicht viel eher damit einher, dass sich die Mitarbeiter selbst dazu anspornen, die unternehmerischen Ziele zu erreichen? Welche Freiheiten bringt das mit sich? Und welche Interessenskonflikte gehen damit einher?
Glißmann (2001) bringt die Herausforderung an die Selbstbestimmung der Beschäftigten, die mit flexiblen Arbeitsformen einhergehen können, folgendermaßen auf den Punkt: nach ihm sehen sich die Mitarbeiter im Konflikt, „einerseits ‚nach Hause gehen zu wollen [d.h. im Homeoffice die Arbeit niederzulegen], da doch [die] Arbeitszeit um ist und andererseits weiterarbeiten zu wollen, weil das Ergebnis noch nicht erreicht ist.‘“ (S. 11).
Eine unmittelbare Lösung des Konfliktes, des Hin- und Hergerissen Sein und des unruhigen, spannungsvollen Hin- und Herpendelns könnte darin bestehen, sich dafür zu entscheiden, sich im Sinne des zu erreichenden Ziels zu verausgaben. Dies scheint wahrscheinlich und nachvollziehbar, wenn Mitarbeiter allein für Arbeitsergebnisse anerkannt werden und Arbeitsbemühungen im Homeoffice nicht gesehen werden (können). Zusätzlich sehen sich die Beschäftigten einer anderen Form der Belastung ausgesetzt: sie setzen sich nicht nur überdurchschnittlich für ihre Arbeit ein, sondern finden sich zudem in Selbstvorwürfen, Selbstzweifel und Abwertung der eigenen Regulationsfähigkeiten gefangen, wenn es Ihnen (“schon wieder einmal!”) nicht gelungen ist, die eigenen Ideen (oder die der Familie) an eine ausbalancierte Lebensführung umzusetzen.
Doch wie kommt man nun aus dieser doppelten Belastung heraus? Wäre es nicht eine mögliche, ver-rückte Lösung, in der Maske einer „Burnout“-Problematik eine Neuausrichtung des eigenen Arbeitshandelns einzufordern…?
Aus meiner Sicht ist nun die geeignete Zeit, sich im Zuge der gemachten und flächendeckenden Erfahrungen mit der flexibilisierten Arbeit diesen und weiteren Fragen zu widmen, sich mit den – divergierenden – Anliegen der Beschäftigten auseinanderzusetzen und den Beschäftigten hilfreiche, selbstreflexive Methoden zur Selbstverortung und -bestimmung an die Hand zu geben, um sie zu eigenen Lösungen im Umgang mit den Herausforderungen im Homeoffice zu führen – mit dem Ziel Erschöpfungserleben vorzubeugen…
Elena Linden, 26.05.2020
Brehm, J. W., & Self, E. A. (1989). The intensity of motivation. Annual review of psychology, 40, 109-131.
Brinkmann, U., & Dörre, K. (2006). Die neue Unternehmerkultur — Zum Leitbild des „Intrapreneurs“ und seinen Implikationen. Endspiel des Kooperativen Kapitalismus? (136-168). Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
Brinkmann, U. (2011). Die unsichtbare Faust des Marktes: Betriebliche Kontrolle und Koordina tion im Finanzmarktkapitalismus. Berlin: Sigma.
Glißmann, W., & Peters, K. (2001). Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxen Folgen. Hamburg: VSA.
Kambartel, F. (1989). Autonomie, mit Kant betrachtet. Zu den Grundlagen von Handlungstheorie und Moralphilosophie. In: Philosophie der humanen Welt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 11-132.
Linden, E., Fischer, H. R., Walther, E. (2016). Wozu Burnout? Das ausgebrannte Sein als ambivalente Lösung von Ambivalenz. Familiendynamik, 41(3), 232-241.
Peters, K. (2011). Indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung. Neue Herausforderungen für die betriebliche Gesundheitspolitik. BGM-Fachtagung des ZWW: “Die erschöpfte Organisation“.
Sauer, D. (2006). Arbeit im Übergang. Gesellschaftliche Produktivkraft zwischen Zerstörung und Entfaltung. Dunkel, Wolfgang/Sauer, Dieter (Hg.). Von der Allgegenwart der verschwindenden Arbeit, Neue Herausforderungen für die Arbeitsforschung, Berlin, 241-257.
Sichler, R. (2006). Autonomie in der Arbeitswelt . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Solidarität und Führung – was können wir aus der Krise lernen?
Ein Gedankenanstoß
Dass uns der Wert des solidarischen und auf Wechselseitigkeit angelegten Handelns verstärkt ins Bewusstsein rückt, gerade wenn wir vor existentiellen Fragen stehen, kennen wir aus vielen Lebensbereichen, z.B. in der Bewältigung von kritischen Familienereignissen wie Krankheit und Tod. Ohne Zweifel sind Unterstützung und der Sinn für Gemeinschaft auch in der Arbeitswelt Ressourcen, wenn es darum geht, schwierige Situationen zu meistern und unternehmerische Krisen zu überwinden. Doch wie kann es gelingen, soziale Unterstützung in Unternehmen zu fördern, bzw. was sind Hindernisse eines solidarischen Zusammenkommens, die es zu überwinden gilt? In Unternehmen findet Solidarität als Wert vielerorts Beachtung, gleichzeitig mangelt es aus Sicht der Beschäftigten an Praktiken und Erfahrungen des Füreinandereinstehens – wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?
Arbeitsteams stehen nicht selten vor dem die Dilemma, einerseits nach Effizienz und andererseits nach langfristig angelegten und vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen zu streben. Letzteres beinhaltet u.U. auch, in die Entschleunigung zu gehen, um z.B. überanspruchte Kollegen aufzufangen oder Zeit für Reflexions- und Kommunikationsschleifen einzuräumen. Teams sind auf diese Weise mit einem Interessenskonflikt konfrontiert, den es auszubalancieren gilt. Im Normalbetrieb und bei hinreichenden Kapazitäten gelingt es vielen Arbeitsteams gut, die unterschiedlichen Bestrebungen aus eigener Kraft zu harmonisieren – doch wie steht es um die Balancienrungskräfte in Hochdruckphasen? Wäre es nicht nachvollziehbar, wenn Gruppendynamiken in Belastungsspitzen sich nach pragmatischen Lösungen ausrichten und Teams, die sich unter Druck fühlen, Leistung vor Solidarität stellen würden?
Wie gelingt es Teams also, auch in unternehmerischen Krisenphasen den Blick auf das WIR zu richten? Und welche Bedeutung nimmt bei diesen Fragen die Rolle der Führungskraft ein? Sollten wir kritisch hinterfragen, ob eine werteorientierte Arbeitskultur hinreichende Bedingungen dafür darstellen, dass Mitarbeiter in einen kooperativen und solidarischen Umgang zueinander finden? Oder sollte Solidarität vielmehr auch in der Arbeitswelt institutionalisiert, inszeniert und im Zweifel auch ausgleichend eingefordert werden?
Vielleicht ergibt es Sinn, die gute Wirkkraft einer unvermittelten Ansprache neu in den Blick zu rücken – gerade in Kontexten, in denen Selbstorganisation groß geschrieben wird. Führung in volatilen Zeiten bedeutet also auch, Teams in Hochdruckphasen und in Dilemmatasituationen die Erlaubnis zu erteilen, Abstand von der kurzfristigen Zweckmäßigkeit pragmatischer Lösungen zu nehmen und stattdessen Freiräume einzuräumen, um sich gegenseitig zu unterstützen, Luft zu holen und als Team wieder gemeinsam Fahrt aufzunehmen. Hierfür müssen Führungskräfte selbst Dilemmata aushandeln, sofern die eigene Leistung an unternehmerischen Kennzahlen gemessen wird. Den Mut, diesen Konflikt zu einem intraindividuellen Konflikt zu verkehren und ihn auf diese Weise aus dem sozialen Raum herauszunehmen, wünsche ich mir von Führungskräften der Zukunft.
Elena Linden, 31. März 2020