Solidarität und Führung – was können wir aus der Krise lernen?

Ein Gedankenanstoß

Dass uns der Wert des solidarischen und auf Wechselseitigkeit angelegten Handelns verstärkt ins Bewusstsein rückt, gerade wenn wir vor existentiellen Fragen stehen, kennen wir aus vielen Lebensbereichen, z.B. in der Bewältigung von kritischen Familienereignissen wie Krankheit und Tod. Ohne Zweifel sind Unterstützung und der Sinn für Gemeinschaft auch in der Arbeitswelt Ressourcen, wenn es darum geht, schwierige Situationen zu  meistern und unternehmerische Krisen zu überwinden. Doch wie kann es gelingen, soziale Unterstützung in Unternehmen zu fördern, bzw. was sind Hindernisse eines solidarischen Zusammenkommens, die es zu überwinden gilt? In Unternehmen findet Solidarität als Wert vielerorts Beachtung, gleichzeitig mangelt es aus Sicht der Beschäftigten an Praktiken und Erfahrungen des Füreinandereinstehens – wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

Arbeitsteams stehen nicht selten vor dem die Dilemma, einerseits nach Effizienz und andererseits nach langfristig angelegten und vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen zu streben. Letzteres beinhaltet u.U. auch, in die Entschleunigung zu gehen, um z.B. überanspruchte Kollegen aufzufangen oder Zeit für Reflexions- und Kommunikationsschleifen einzuräumen. Teams sind auf diese Weise mit einem Interessenskonflikt konfrontiert, den es auszubalancieren gilt. Im Normalbetrieb und bei hinreichenden Kapazitäten gelingt es vielen Arbeitsteams gut, die unterschiedlichen Bestrebungen aus eigener Kraft zu harmonisieren – doch wie steht es um die Balancienrungskräfte in Hochdruckphasen? Wäre es nicht nachvollziehbar, wenn Gruppendynamiken in Belastungsspitzen sich nach pragmatischen Lösungen ausrichten und Teams, die sich unter Druck fühlen, Leistung vor Solidarität stellen würden?

Wie gelingt es Teams also, auch in unternehmerischen Krisenphasen den Blick auf das WIR zu richten? Und welche Bedeutung nimmt bei diesen Fragen die Rolle der Führungskraft ein? Sollten wir kritisch hinterfragen, ob eine werteorientierte Arbeitskultur hinreichende Bedingungen dafür darstellen, dass Mitarbeiter in einen kooperativen und solidarischen Umgang zueinander finden? Oder sollte Solidarität vielmehr auch in der Arbeitswelt institutionalisiert, inszeniert und im Zweifel auch ausgleichend eingefordert werden?

Vielleicht ergibt es Sinn, die gute Wirkkraft einer unvermittelten Ansprache neu in den Blick zu rücken – gerade in Kontexten, in denen Selbstorganisation groß geschrieben wird. Führung in volatilen Zeiten bedeutet also auch, Teams in Hochdruckphasen und in Dilemmatasituationen die Erlaubnis zu erteilen, Abstand von der kurzfristigen Zweckmäßigkeit pragmatischer Lösungen zu nehmen und stattdessen Freiräume einzuräumen, um sich gegenseitig zu unterstützen, Luft zu holen und als Team wieder gemeinsam Fahrt aufzunehmen. Hierfür müssen Führungskräfte selbst Dilemmata aushandeln, sofern die eigene Leistung an unternehmerischen Kennzahlen gemessen wird. Den Mut, diesen Konflikt zu einem intraindividuellen Konflikt zu verkehren und ihn auf diese Weise aus dem sozialen Raum herauszunehmen, wünsche ich mir von Führungskräften der Zukunft.

Elena Linden, 31. März 2020

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